Evangelische Schule Neukölln: Schüler*innen bauen ihre Möbel selbst

Ein ohrenbetäubender Lärm erfüllt den Schulflur, während Ebba am ganzen Körper vibriert. Die 10-Jährige hält eine riesige Schlagbohrmaschine in der Hand. Ganz alleine bohrt die Fünftklässlerin damit ein Loch in die Flurwand, direkt neben ihrem Klassenraum. Ebba erklärt: „Bohren macht am meisten Spaß! Da kommt jetzt ein Dübel rein und dann befestigen wir daran die Liegebank, die wir selbst gebaut haben!“

Ebba (10) bohrt alleine ein Loch in die Wand neben ihrem Klassenzimmer.

Diese Bank, Hocker, Hochtische, ein Podest und ein sogenannter Alkoven – eine höhlenartige Sitzbank – sind Teile der Möbelbauten, die in den vergangenen fünf Tagen an der Evangelischen Schule Neukölln entstanden sind. Mitte November 2022 fand hier eine Projektwoche mit der Initiative Bauereignis statt. Dabei bauten 12 Schüler*innen der fünften und sechsten Klasse unter fachkundiger Anleitung von Mitarbeiter*innen von Bauereignis Möbel für die neue Flurgestaltung im Erdgeschoß der Evangelischen Schule Neukölln.

Die fertige Liege-Sitzbank

Das Besondere: da der Flur im Erdgeschoss nicht nur von den Fünftklässler*innen – sondern am Nachmittag auch von den Hortkindern genutzt wird, brauchte es Möbel zum Lernen, Spielen und Entspannen. Immer mehr Kinder nehmen an der Hortbetreuung teil, darum hat die Schule das Konzept der Doppelnutzung eingeführt: Räume sind Lern- und Spielorte zugleich – wie eben jetzt auch die Schulflure.

Stehtisch, Hocker und der Alkoven – eine höhlenartige Sitzbank

Karlotta aus der 6b hat die Stehtische und Hocker mitgebaut. Die 12-Jährige meint: „Richtig gerade bohren ist gar nicht so einfach, es hat aber Riesenspaß gemacht. Ich habe auch das erste Mal mit einem Winkel angezeichnet. Das war toll!“

Viele der Kinder haben schon Pläne, was sie als nächstes Bauen wollen – von einer Puppenwiege, über eine Aufbewahrungsbox bis zum Geheimzugang zum eigenen Kinderzimmer ist vieles dabei.

Einsatz der japanischen Feinsäge

Hier in der Schule ist der Alkoven das Möbelstück, auf das sich die meisten Schüler*innen besonders freuen. Der 10-jährige Gustav hat die Bank mit den Seitenwänden mitgebaut. Der Fünftklässler hat gerade mit einer japanischen Feinsäge die letzten Ecken ausgesägt und meint: „Das Hochtragen aus der Werkstatt im Keller ins Erdgeschoss war echt anstrengend! Aber das Bauen war richtig cool. Ich habe auch zu Hause schon ein Hochbett und Schränke mit meinen Eltern gebaut, aber noch nie eine Lernhöhle.“

Die Sanierung der drei Flure im Erdgeschoss, im 1. und im 2. Obergeschoss und das damit entstandene neue Brandschutzkonzept ermöglichte den Umbau der Verkehrswege zu Lernorten.

Schüler*innen gestalten ihre eigene Lernumgebung

Die Schülerinnen tragen den Rahmen des Alkoven nach oben.

Der Schulleiter Thorsten Knauer-Huckauf freut sich über die neuen Multifunktionsmöbel und den Erfolg seiner Schüler*innen: „Dieses Projekt ermöglicht es unseren Schüler*innen ihre Lernumgebung selbst mit zu bestimmen und mit zu gestalten. Damit erfahren sie nicht nur ihre Selbstwirksamkeit, sie können auch selbstverantwortlich für sich handeln und dabei lernen. Ich danke dem Quartiersmanagement Flughafenstraße und dem Team von Bauereignis, dass sie unsere Schüler*innen darin tatkräftig unterstützt haben.“

Gefördert wurde das Projekt mit 20.000 Euro aus dem Fond des Programms Soziale Stadt. Ziel des Projektfonds sind nachhaltige, strukturfördernden Maßnahmen im Quartier Flughafenstraße. Zur Verwirklichung der Entwicklungsziele stellt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen in Zusammenarbeit mit dem Bezirksamt Neukölln Fördermittel aus dem Bund-Länder-Programm Soziale Stadt sowie dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung zur Verfügung.

André Heukamp und drei weitere Mitarbeiter*innen von Bauereignis unterstützten die Kinder beim Bauen der Multifunktionsmöbel. Heukamp erklärt: „Die Kinder machen hier interessante Erfahrungen. Sie erschaffen hier mit ihren eigenen Händen Dinge, die in ihrem Alltag dauerhaft Bestand haben. Die Schüler*innen erfahren dabei, dass sie ihre Umwelt selbst gestalten können. Außerdem führt das Ganze zu einer erhöhten Identifikation mit dem Ort Schule.“ Besonders beeindruckend fand der 52-Jährige wie freudig und konzentriert die Kinder bei der Sache waren und wie gut alle zusammen gearbeitet haben.

Auch die Tischlerin Keshia Meister freut sich über den Lernerfolg der Schüler*innen: „Die Kinder haben  mit dem Bau der Möbel Verantwortung für ihre eigene Lernumgebung übernommen und damit Selbstermächtigung erfahren.“ Dabei seien kleine Fehler ausdrücklich erlaubt.

Die Schülerinnen leimen die Möbel zusammen.

Da die fünftägige Projektwoche mit den Schüler*innen nicht ausreicht um die etwa 15 Möbelstücke je Flur zu bauen, baut das Team Bauereignis die Möbel für das Erdgeschoss in der Folgewoche noch zu Ende. Der Flur im 1. Obergeschoss der Schule wird ebenfalls noch vor Weihnachten mit neuen Möbeln bestückt. Dies geschieht jedoch ohne die Schüler*innen.

Nicht nur der zwölfjährige Carl findet es „doof, dass die Woche schon vorbei ist“. Auch die anderen Kinder hatten eine Menge Spaß und würden am liebsten gleich weiterbauen. Darum fragt Ebba in der Abschlussrunde: „Können wir so eine Woche bald wieder machen?“ André Heukamp strahlt: „Vielleicht im kommenden Jahr, wer weiß?“

Das Büro „Bauereignis – Sütterlin Wagner Architekten“ steht für Architektur und Prozessmoderation. Sein Haupttätigkeitsfeld sind partizipative Gestaltungs- und Bauprojekte zur räumlichen Schulentwicklung. Die Planer*innen und Tischler*innen arbeiten systemisch und handlungsorientiert. Ziel ist eine individuelle, ausdifferenzierte Schulumgebung, die eine inklusive, demokratische Kultur und körperliche Bewegung fördert.

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