„Wenn die Politik jetzt nicht handelt, werden einige der kleineren freien Träger aufgeben müssen.“
Auf der heutigen Pressekonferenz anlässlich des Tags der Freien Schulen Berlin 2023 kam die Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch mit den Vertreter*innen der freien Schulen ins Gespräch. Themen waren insbesondere die derzeitige Mangelfinanzierung und die steigenden Kosten, denen sich die Träger gegenüber sehen sowie die noch geringeren Zuschüsse in diesem Jahr. Die AGFS stellte ihre kurz- und langfristigen Lösungsansätze vor – doch für die Umsetzung braucht es die Politik.
Der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Freier Schulen Berlin, Andreas Wegener, erklärt: „Wir hatten uns auf das Versprechen im Koalitionsvertrag verlassen, dass im nächsten Jahr die Zuschüsse steigen. Doch in 2023 sind diese sogar gesunken. Dieser – unbeabsichtigte Effekt – droht auch in den folgenden Jahren. Wenn die Politik jetzt nicht handelt, werden einige der kleineren freien Träger aufgeben müssen. In Folge verliert Berlin Schulplätze, die es dringend benötigt.“
Die Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch zeigte Verständnis für die Situation der freien Träger und versprach Unterstützung: „Die Schulen in freier Trägerschaft sind alternativlos. Rund 11 Prozent aller Berliner Schülerinnen und Schüler besuchen eine freie Schule, mehr als 15 Prozent aller Kinder, die von Flucht betroffen sind, lernen hier.“ Auf diese Schulplätze könne das Land nicht verzichten. „Berlin ist vielfältig – kulturell, sozial und religiös – genauso wie das vielfältige Bildungsangebot der freien Träger. Berlin steht es gut zu Gesicht, dieses auch weiterhin anzubieten. Die Kürzungen der diesjährigen Zuschüsse kommen zum ungünstigsten Zeitpunkt. Wir müssen in unseren Abläufen praktikabler werden.“ Allerdings wären viele Änderungen nur durch eine Anpassung des Schulgesetztes möglich und das koste Zeit. „Unser Ziel ist es, bis 2026 die im Koalitionsvertrag vereinbarten Maßnahmen wie etwa eine Verkürzung der Wartezeit bei einer Schulneugründung umzusetzen.“ Derzeit müssen etwa neue Grundschulen eine fünfjährige Wartezeit überbrücken, bis sie Zuschüsse erhalten. Auch im Bereich der Kinder aus finanzschwachen Familien und der Inklusion soll es laut Koalitionsvertrag eine finanzielle Entlastung der freien Schulen geben.
Frank Olie von der Evangelischen Schulstiftung in der EKBO erklärt: „Wir sind offen für alle Kinder und darum ist uns auch die Inklusion wichtig. Leider können wir aufgrund der bestehenden Finanzierung nur einen Teil der Ressourcen, die staatliche Schulen erhalten, an unsere Standorte weitergeben. Auch für notwendige Umbaumaßnahmen wie etwa für blinde Kinder oder solche, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, müssen wir die Finanzierung alleine tragen. Die Politik muss hier schnell gegensteuern, so wie im Koalitionsvertrag angekündigt.“
Die Arbeitsgemeinschaft der freien Schulträger Berlin (AGFS) hatte bereits im Juni vor den Folgen der Mangelfinanzierung gewarnt und der Politik ein alternatives Finanzierungsmodell vorgestellt, unter Berücksichtigung aller Kosten für einen Schulplatz. Denn die aktuelle Unterfinanzierung sei ein Sparmodell für das Land Berlin.
Torsten Wischnewski-Ruschin vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin e.V. erklärt: „Es kann nicht sein, dass Berlin für Schüler*innen der freien Schulen weniger Geld ausgibt als für die Schüler*innen der staatlichen Schulen. Wir brauchen jetzt kurzfristige Maßnahmen, um die unbeabsichtigten Kürzungseffekte auszugleichen, durch Aufhebung der Stichtagsregelung und Berücksichtigung aller Personalkosten. Außerdem erwarten wir die zügige Umsetzung der im Koalitionsvertrag formulierten Punkte zu Inklusion und Berechtigten des Bildungs- und Teilhabe-Programms.“
Julian Scholl von der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Waldorfschulen Berlin Brandenburg, meint: „Wir möchten auch weiterhin in Berlin dringend benötigte neue Schulplätze schaffen. Dafür müssen wir an der Schulbauoffensive und am Nachhaltigkeitsprogramm beteiligt werden. Außerdem fordern wir eine Reduzierung der Wartefrist für die Bezuschussung neuer freier Schulen.“
Sinkende Finanzierungszuschüsse verhindern, neues Finanzierungsmodell einführen
Die Berliner Schulen in freier Trägerschaft geraten zusehends unter finanziellen Druck. Die Corona-Pandemie, die Energiekrise, die Inflation, die Bereitschaft schnell ukrainische Schülerinnen und Schüler aufzunehmen, die Personalkonkurrenz zu den öffentlichen Berliner Schulen und die notwendigen Gehaltssteigerungen auch an freien Schulen zehren stark an den finanziellen Möglichkeiten der freien Schulen in Berlin.
Die Arbeitsgemeinschaft Schulen in freier Trägerschaft hat in den vergangenen Jahren wiederholt darauf aufmerksam gemacht, dass das bisherige Finanzierungssystem des Landes Berlin nur einen unzureichenden Anteil der Kosten des Schulbetriebs ausmacht. Mit 93 Prozent der Personalkosten der öffentlichen Schulen sollen die freien Schulen den kompletten Schulbetrieb bewältigen. Sächliche Kosten sowie die Investitionen für Grundstück und Gebäude bleiben unberücksichtigt. Weiterhin werden auch nicht alle Kosten für das Personal an den freien Berliner Schulen finanziert. Hier geht es insbesondere um die IT-Administration und um die Sozialarbeit an den Schulen. Nur das Klageverfahren der freien Schulen im Jahr 2021 gegen das Land Berlin hat dazu geführt, dass das Land zumindest die Ausstattung für die Verwaltungsleitung bei der Berechnung der Zuschüsse berücksichtigt.
Die freien Schulen in Berlin bekommen nichts geschenkt. Sonderprogramme des Bundes haben zumindest Investitionen im Bereich der Digitalisierung, durch den Digitalpakt, und in den Gebäuden, durch das Kommunalinvestitionsprogramm ermöglicht. Bei den diversen Berliner Sonderprogrammen bleiben die freien Schulen in der Regel außen vor. So fehlen etwa die Zugänge zu der Lernplattform des Landes genauso wie der gleichrangige Zugang zur Lehrkräftebildung in Berlin.
Die Schulen in freier Trägerschaft fangen diese Einnahmelücke in erster Linie durch die Schulgelder der Eltern auf. Torsten Wischnewski-Ruschin, vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin e.V. erklärt: „Sollte es bei den bisherigen Reglungen bleiben, wären die freien Schulen gezwungen, ihre Elternbeiträge um rund 20 Prozent ab dem kommenden Jahr zu erhöhen. Familien mit geringem Einkommen werden diese Schulen dann bald nicht mehr besuchen können und die bisher in vielen Schulen noch gute Mischung an Schüler*innen gerät weiter unter Druck.“
Derzeit decken die staatlichen Zuschüsse nur rund 60 bis 70 Prozent der Kosten der freien Schulen.
Die AGFS fordert daher von der Berliner Politik:
• den Zugang für einkommensschwache Familien zu verbessern (Schulgeldersatz)
• durch Zuschüsse für Kinder mit Förderbedarfen die Inklusion zu fördern
• die Beschulung von Flüchtlingen fair zu unterstützen
• die sächlichen Kosten in die Finanzierung mit aufzunehmen
• die Investitionen für den Neubau und den Erhalt der Schulen zu finanzieren
• sowie Mittel für Fort- und Weiterbildungen auch für die Lehrkräfte an den freien Schulen zur
Verfügung zu stellen
• die Wartefrist für neue Schulen zu verkürzen
• und den Schulen auch die Teilnahme an allen Landes Förderprogrammen zu ermöglichen
Die AGFS hat zur Nachwahl des Abgeordnetenhauses ein neues Finanzierungsmodell vorgelegt, dass viele dieser Forderungen einbezieht und darüber hinaus die Finanzierung zu den jeweiligen Tarifabschlüssen des Landes anpasst und die steigenden Lebenshaltungskosten jährlich mitberücksichtigt.
Roland Kern, Dachverband Berliner Kinder- und Schülerläden (DaKS) e.V., erklärt: „Wir orientieren uns dabei an der langjährig erprobten Finanzierung von Kitas und Horten in freier Trägerschaft in Berlin. Das neue Finanzierungsmodell soll auch die weiterhin bestehenden Kürzungen des Jahres 2003 abmildern. Vor allem soll aber eine zukunftssichere Finanzierung bereitgestellt werden, die die Situation des Jahres 2023 mit stark steigenden Kosten bei sinkenden Zuschüssen verhindert.“
Bis jetzt gibt es keine positiven Reaktionen aus Politik und Verwaltung zu diesen Vorschlägen. Aus diesem Grund findet die diesjährige Bildungsdebatte in der Evangelischen Schule in Neukölln am 19. September 2023, um 19.30 Uhr, in der Mainzer Straße mit den Fraktionsvorsitzenden der demokratischen Parteien des Abgeordnetenhauses statt. Und vorher rufen die Eltern der Schulen in freier Trägerschaft zu einer Demonstration am 19. September 2023, um 14 Uhr, vor dem Roten Rathaus auf, um die Forderung nach einer gerechteren Finanzierung zum Ausdruck zu bringen.
Günther-Wünsch hat in diesem Jahr die Schirmherrschaft für den Tag der Freien Schulen übernommen. In Ihrem Grußwort sagte die CDU-Politikerin: „Das Land Berlin profitiert nicht nur von den pädagogischen Innovationen, sondern benötigt in Zeiten, in denen es zu wenige Schulplätze gibt, das zusätzliche Engagement der freien Träger. Daher ist es mir ein persönliches Anliegen, sowohl den jetzigen Bestand an Schulplätzen sicherzustellen als auch den qualitativen und quantitativen Ausbau dieser zu unterstützen. Denn ich verstehe mich als Bildungssenatorin in Verantwortung für alle Berliner Schülerinnen und Schüler, ob sie nun an staatlichen oder freien Schulen lernen. Deshalb werde ich mich persönlich dafür einsetzen, dass die freien Schulen mehr Unterstützung erfahren als dies bisher der Fall war.“
Mehr Informationen:
www.freie-schulen-berlin.de