Zeitzeugin Assia Gorban spricht mit Schüler*innen der Evangelischen Schule Berlin Zentrum

„Was können wir machen, damit Ihre Geschichte nie vergessen wird?“ „Wenn jeder von Ihnen in seiner Familie etwas weitergibt von dem hier Gehörten – dann bringt das schon viel!“

92 Jahre alt ist Assia Gorban heute. Mit viel Glück überlebte sie das KZ. Anlässlich des 80. Jahrestag der Befreiung aus dem Konzentrationslager Ausschwitz, stand sie Ende Januar rund 100 Schüler*innen der Klassenstufe 10 bis 13 der Evangelischen Schule Berlin-Zentrum (ESBZ) Rede und Antwort. Der Besuch fand im Rahmen der Demokratiebildung und der Erinnerungskultur der Schule statt.

Assia Gorban, geboren 1933 in Mohyliw-Podilskyi, einer Stadt in der Ukraine, die damals noch zu Russland gehörte, wurde 1941, als sie acht Jahre alt war, zusammen mit ihrer Familie in das Ghetto ihrer Stadt verschleppt und später in das Todeslager Petschora. Sie floh mit ihrer Mutter und überlebte. Heute bezeichnet sie ihre Mutter als Heldin, denn nur ihre Unerschrockenheit und ihr starker Überlebenswille habe sie vor dem sicheren Tod bewahrt. Sie lebt seit 1992 in Berlin. Zuvor war sie Lehrerin in Moskau, hat geheiratet und einen Sohn bekommen.

Eindrücklich schilderte sie den Schüler*innen, wie es ihrer Mutter gelang, dass sie überlebten. Im Ghetto schlichen sie sich heimlich auf dem Markt, um an Nahrung zu gelangen. Später im KZ Petschora sammelten sie Kartoffelschalen und andere Reste aus den Abfalleimern, um sie im Fluss zu säubern und anschließend im Feuer zu garen oder sie warfen ihre Schuhe über die Mauer und tauschten Dinge, wie etwa Seife, gegen Lebensmittel mit den Dorfbewohnern.

v.l.n.r. Schüler*innen der ESBZ mit der Zeitzeugin Assia Gorban, der Schulleiterin Caroline Treier und Ruth Kinet von der Claims Conference

„Die Zeit verging, ich weiß nicht wie viel Zeit. Das Leben im KZ, das Essen: Wir bekamen nichts zu essen. Wir durften auch nicht arbeiten, wir durften nur sterben“, erinnert sich Assia Gorban.

Alles, was sie an Kostbarem besaßen, versteckten sie:  Einen Ring ihrer Großmutter, die ihre Mutter in ihr Haar eingeflochten hatte oder 100 Mark, die die Mutter im Kragen ihres Kleides einnähte. Dank des Geldes gelang ihnen der erste Fluchtversuch, der jedoch misslang. Der zweite brachte sie schließlich in die Freiheit. In ihrem Heimatdorf angekommen, mussten sie jedoch feststellen, dass in ihrem Haus inzwischen ein ukrainischer Polizist wohnte und im Haus ihrer Großeltern rumänische Juden. Da diese jedoch eine Metzgerei betrieben und Fleisch an die rumänisch-deutsche Kommandantur lieferten, lebten sie von den Resten aus der Metzgerei und durften im Stall wohnen.

Assia Gorban mit Schüler*innen der 10. bis 13. Jahrgangsstufe
Fotos: Tanja Tschierse

Assia hatte Glück: Das KZ, in dem ihre Familie saß, wurde im März 1944 befreit. Bis auf ihren Großvater haben alle überlebt.

Über 60 Minuten verfolgten die Schüler*innen aufmerksam ihre Lebensgeschichte. Am Ende zeigte sie ein Foto von ihrem Opa und eine weiße, gut erhaltene Rosenthal-Terrine von 1942 mit Reichsadler und Hakenkreuz auf der Unterseite, die sie aus der Heimat mitgebracht hat und die sie schon ins Museum geben wollte.

Anschließend stellten ihr die Jugendlichen Fragen:
 „Ist es schwer für Sie, ständig über Ihre Erlebnisse zu reden? fragt eine Schülerin. Assia meinte: „Nein, ich rede darüber, um die Erinnerung daran wach zu halten – das gibt mir Kraft.“

„Wo ist der Ring heute, den Ihre Mutter versteckte?“, will ein Schüler wissen. Er sei bei ihrem Bruder, der nach Israel ausgewandert ist, erklärt die Zeitzeugin.

Angesichts zunehmender Feindlichkeit gegenüber Juden, sind Zeugnisse der Überlebenden des Holocaust die eindringlichsten Botschaften gegen jede antisemitische Hetze, Ausgrenzung und Gewalt. Das findet auch die Schulleiterin der ESBZ, Caroline Treier. Sie betont, wie wichtig in ihrer Schule Erinnerungskultur und Demokratiebildung sind: „Indem wir den betroffenen Zeitzeugen zuhören, entsteht eine lebendige Verbindung zu ihnen. So werden junge Menschen sich ihrer Verantwortung für ihr Handeln heute bewusst. Nur wenn sie über die Vergangenheit Bescheid wissen, können sie die Zukunft demokratisch gestalten.“

Aus diesem Grund hat auch die Schulträgerin, die Evangelische Schulstiftung in der EKBO, in diesem Jahr den Themenschwerpunkt „Demokratie und Vielfalt“ ausgerufen. An ihren 35 Schulen in Berlin und Brandenburg finden über das ganze Jahr verteilt Veranstaltungen statt. So wie die große Auftaktveranstaltung am 18. Februar: Über 1.000 Schüler*innen werden sich auf dem Alexanderplatz für Demokratie und Vielfalt stark machen. Einer der Höhepunkte ist das Jugend-Demokratielabor am 11. März 2025 in der Friedrichstadtkirche, in Kooperation mit der Evangelischen Akademie. Es richtet sich an Schüler*innen ab 12 Jahren. In Workshops, bei der Begegnung mit Aktivisten und im gegenseitigen Gespräch können die Teilnehmer*innen erfahren, wie sie sich in Schule und Gesellschaft engagieren und einbringen können.

Begleitet wurde Assia Gorban von Ruth Kinet. Sie arbeitet für die Claims Conference, die sich für die jüdischen Opfern des Nationalsozialismus einsetzt. Kinet ermunterte die Jugendlichen die Social Media Kampagne #rememberThis und #ISurviveAusschwitz zu teilen, in denen Kurzvideos von Zeitzeugen gezeigt werden: „Helft mit, damit die Erinnerung an diese Gräueltaten wach bleibt und sich diese Ereignisse niemals wiederholen!“

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