Brandenburg an der Havel: Schüler*innen diskutieren mit Landesbischof Stäblein und Schriftstellerin Zeh

Vor der Bundestagswahl diskutierten Schüler*innen der gymnasialen Oberstufe des Evangelischen Domcampus Brandenburg an der Havel mit Landesbischof Dr. Christian Stäblein und der Schriftstellerin Juli Zeh zum Thema „Zukunft der Demokratie“. Die öffentliche Veranstaltung fand im Rahmen des Stiftungsweiten Themenjahrs „Demokratie und Vielfalt“ Mitte Februar statt.

Moderator Benno Rougk, Journalist und langjähriger Chef der Regionalredaktion der Märkischen Allgemeinen Zeitung öffnete die Diskussion mit der Frage nach der Definition von Demokratie.

Für Stäblein gibt es drei Essentials einer Demokratie: gleiche und geheime Wahlen, Gewaltenteilung und die Möglichkeit an diesen Genannten teilhaben zu können. Juli Zeh sagte, dass Demokratie nicht ein Verfahren zur Ermittlung von bestmöglichen Lösungen sei: „Sie ist ein Modell, mit dem wir weiterkommen, ohne uns gleich die Köppe einzuschlagen. Ich nehme unsere Demokratie weiterhin als stark wahr und glaubet, dass es kaum Alternativen geben würde, außer diktatorische Strukturen.“

Zeh sieht kritisch, dass an Politik und Demokratie Sehnsüchte und Lösungserwartungen adressiert würden, die eigentlich traditionell in anderen Institutionen verortet waren, wie etwa den Kirchen oder großen Familienverbänden. Hier sei viel Zusammenhaltstiftendes weggebrochen: „Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen die Demokratie eher als etwas von unten nach oben Ausgerichtetes sehen und dass Politik uns Halt und Orientierung geben soll. Dabei ist Demokratie doch eher ein Spielfeld, auf dem man miteinander in Kontakt kommt. Demokratie gibt uns per se erst einmal nichts, sondern sie ist ein Verfahren, in dem wir etwas machen können“, führte sie Ihre Definition von Demokratie weiter aus. Insofern sei es auch kein sehr demokratischer Wunsch, wenn Menschen nach Führung durch jemanden verlangten, der vorne steht und sage, wo es lang gehe. Die Diskutanten unterstrichen auch, dass die Demokratie mitunter auch Ergebnisse und Lösungen hervorbringt, mit denen nicht alle einverstanden sind. Aber das sei die logische Folge von Aushandlungsprozessen, die für eine funktionierende Demokratie essenziell seien.

Und hier sah Stäblein die Gefahr, dass es immer mehr politische Akteure gebe, die meinten, mit verkürzten oder gar nicht stattfindenden Aushandlungsprozessen den richtigen Weg zu kennen. Zeh entgegnete dieser Analyse, dass genau diese Akteure aber behaupten würden, dass sie es seien, die endlich dem Volk wieder eine Stimme geben und die wahren Probleme der Menschen adressierten, die von der institutionalisierten Demokratie ignoriert würden. Zeh erklärte: „Aktuell erlebt unsere Demokratie eine gewisse Teilung in jene, die demokratisch für des Volkes Wille kämpfen und jene, die nach den traditionellen Mustern unserer institutionalisierten Demokratie diese als bedroht beschreiben. Dabei hat die Bundesrepublik Deutschland eine sehr stabile Demokratie, weil die bestehende Gewaltenteilung nicht so einfach verändert werden kann und die in den Parlamenten nur mit einer sehr hohen 2/3-Mehrheit geändert werden könnten.“ Sie warb dafür, dass man auch seinen eigenen Blickwinkel verstellen und die Sicht der anderen einnehmen müsse, um dann mit den noch stärkeren Argumenten die Gegenposition zu schwächen: „Die vergangenen zehn Jahre zeigten ja, dass extreme Positionen nicht zurückgedrängt werden, wenn man mitunter auch durch Übergehen demokratischer Regeln diese auszugrenzen versucht“, meinte Zeh. Für Stäblein zeige die aktuelle Entwicklung der USA aber, dass die Demokratie eben doch sehr schnell zu Ende sein könne, wenn führende Kräfte einfach alle Regeln ignorieren und Gesetze missachteten, die gegen ihre Interessen stehen würden.

Hier stiegen die Schüler*innen des Domgymnasiums in die Diskussion mit ein. Ein Schüler griff die Position von Juli Zeh auf, auch mal in die Perspektive des Gegners zu wechseln und stellte hier den Begriff Wahrheit in den Vordergrund. Seiner Meinung nach müsse die Wahrheit immer den Diskurs bestimmen und gerade das mache den wachsenden Populismus seiner Meinung nach zur größten Gefahr für die Demokratie. Wenn Fakten verdreht und Falschbehauptungen in den Raum gestellt würden, weil das die Menschen emotional erreiche oder sie es hören wollen, dann sei die Einbindung populistischer Parteien in den demokratischen Diskurs ein Problem.

Gemeinsam wurde dann herausgearbeitet, dass es immer verschiedene Wahrheiten geben könne, die im Diskurs gegenübergestellt werden müssten. Wichtiger als die Frage nach der Wahrheit sei doch in der Demokratie die Herausarbeitung eines gemeinsamen Willens. Das Volk müsse verstehen, was die Politik mit dieser oder der anderen Entscheidung erreichen will und umgekehrt muss die Politik auch stärker darauf eingehen, was das Volk an Willensbekunden ausdrückt.

Auf die Frage des Moderators, weshalb die politische Wahrheit scheinbar zwischen West- und Ostdeutschland so unterschiedlich erscheine, führte Bischof Stäblein aus, dass in der ostdeutschen Wirklichkeit und des Entwickelns von Erfahrung mit ostdeutscher Biografie eine starke Prägung gewachsen sei, nicht gehört zu werden, die eigenen Fragen und Herausforderungen nicht bewältigt zu bekommen: „Deshalb müssen wir ganz genau hinschauen, warum die Menschen sich nicht wahrgenommen und gehört fühlen. Und das müssen wir besser hinbekommen!“, meinte der Landesbischof.

 

In der weiteren Diskussion wollten die Schüler*innen von Juli Zeh erfahren, warum sie den öffentlichen Brief gegen Lieferung von schweren Waffen für die Ukraine nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges unterschrieben habe und ob es nicht Aufgabe von Demokratien sei, andere Demokratien zu unterstützen, wenn sie angegriffen würden. Sie legte auf diese Frage ihre Position nochmal dar, dass sie nicht an eine Friedenslösung auf militärischem Wege glaube, sondern Frieden immer nur auf dem Verhandlungsweg erzielt werden könne. Und das zeige die aktuelle Situation auf sehr traurige Weise und sie fühle sich in ihrer Haltung bestätigt, nur dass in den zurückliegenden Jahren hunderttausende Männer und Frauen sterben mussten. Aus ihrer Sicht gehe es bei der Frage nicht darum, ob man einer anderen Demokratie mit Waffenlieferungen beistehen müsse, sondern eher um die Frage, wie kommen wir aus dem Konflikt am schnellsten wieder raus, ohne dass unnötiges Menschenleben geopfert werden müssten. Auch Landesbischof Stäblein ließ die Schüler*innen deutlich spüren, wie schwer es einem Christen fällt, die Frage nach Einsatz von Waffen in Konflikten zu bewerten, wenn es erkennbar Zeiten gibt, in denen zumindest eine Konfliktpartei nicht bereit ist, an den Verhandlungstisch zu treten: „Aber zum Zwecke der Selbstverteidigung muss ich auch als Kirchenmensch den Einsatz militärischer Mittel und von Waffen akzeptieren. Dennoch bin ich  der christlichen Überzeugung, dass die Verhandlung zwischen den Konfliktpartnern immer dem Einsatz von Waffen vorzuziehen ist und gerechter Frieden nicht mit Waffengewalt erreicht werden kann. Kirche hat daneben die wichtige gesellschaftliche Rolle, sich als Friedensstifter einzusetzen und in verschiedener Weise für den Frieden zu wirken.“

Zum Ende der Diskussion gab es noch mutmachende Statements der Diskussionsgäste. So hob Landesbischof Stäblein beispielsweise hervor, dass die Regierung in den zurückliegenden Jahren Handlungsfähigkeit bewiesen habe, insbesondere im Bereich der Migration. Juli Zeh ging in Antwort auf eine der letzten Schülerfragen darauf ein, dass wir als Gesellschaft in vielen Punkten richtig weitergekommen seien in Bezug auf die Rechte von verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Als Beispiel nannte sie hier die gewachsene Akzeptanz von unterschiedlichen sexuellen Orientierungen. Eine der größten Gefahren für die Demokratie sah Juli Zeh in der völlig neu und sich rasend schnell entwickelnden Struktur der öffentlichen Kommunikation. Dabei sieht sie nicht die Kommunikationstechnik als Problem, sondern dass wir noch nicht schnell genug sind, einen vernünftigen Umgang mit der sich ändernden öffentlichen Kommunikation zu finden. Hierbei geht sie insbesondere auf den marktwirtschaftlichen Aspekt der Kommunikation ein, wo traditionelle Medien gegen die kapitalstarken Instrumente mit ähnlichen Geschäftsmodellen anzukommen versuchten und Klick-Rates ein wichtiger Faktor für das Überleben geworden seien: „Dadurch werden die Medien immer weniger zu der Schnittstelle zwischen Politik und Gesellschaft, wodurch ihre Vermittlungsrolle immer mehr verloren geht. Das können dann diejenigen nutzen, die darauf finanziell nicht angewiesen sind.“

Landesbischof Stäblein sorgte sich um die abnehmende Durchhaltekraft, die für die politischen Aushandlungsprozesse für die Gestaltung unseres Lebens zwingend von Nöten sei. Stäblein erklärte: „Wir brauchen starke gesellschaftliche Willensbildung und die Organisation von Gemeinschaften, um diese Aushandlungskraft uns weiter zu erhalten.“

Am Ende der gut 90minütigen Veranstaltung setzten die Schüler*innen die lebhafte Diskussion auf dem Weg zum nächsten Unterricht fort. Das Fazit dieser besonderen Unterrichtsveranstaltung: junge Menschen sind politisch interessiert und bezogen auf den Titel der Veranstaltung hat die Demokratie in unserem Land eine Zukunft.

Text und Bilder:
Tim Freudenberg
kaufmännischer Campusleiter

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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