Interview: „Schule ohne Grenzen“ zieht positive Bilanz

Interview mit Ulrike Müller, Schulleitung der August Hermann Francke Schule, und Annemarie Pagel, Lehrkraft mit besonderen Aufgaben, sowie Thomas Brand, Schulleiter der Evangelischen Schule Spandau:

Von links: Ulrike Müller (Schulleiterin August Hermann Francke Schule), Brunhilde Grzegorski (Konrektorin Evangelische Schule Spandau), Thomas Brand (Schulleiter Evangelische Schule Spandau). Foto: Frank Woelffing

Wie hat sich die inklusive Zusammenarbeit beider Schulen über die Jahre entwickelt?

Annemarie Pagel: „Gemeinsame inklusive Projekte beider Schulen gibt es schon seit vielen Jahren, zum Beispiel Theaterstücke. Als dann 2020 die Covid19-Krise begann, haben die Klassen über Steckbriefe oder Filme Kontakt gehalten. Mit dem Umzug in den Neubau 2021 ist dann endlich der gemeinsame Schulalltag möglich geworden und wir konnten gut an die bisherigen Kontakte anknüpfen.“

Wie und wann findet inklusive Zusammenarbeit statt?

Annemarie Pagel: „Das organisieren die Partnerklassen ganz unterschiedlich. Manche kommen montags und freitags zur Begrüßungs- und Abschiedsrunde zusammen und lernen dazwischen in einzelnen Projekten gemeinsam, manche treffen sich an einem festen Wochentag. In einigen Klassen kommen die Schüler*innen auch zu einem bestimmten Fach zusammen, zum Beispiel Musik.“

Ulrike Müller: „Teilweise gehen auch nur einzelne Schüler*innen in die Partnerklasse, beispielsweise wenn großes individuelles Interesse besteht. Das betrifft unter anderem den Kunst- oder Matheunterricht. Sie haben dann zwar anderes Material, aber sind mit dabei, weil sie es so spannend finden. Es gibt auch drei bis vier Schüler*innen aus der Evangelischen Schule, die schwer beeinträchtige Kinder beim gemeinsamen Kochen unterstützen. Dieses Projekt ist sehr begehrt auf beiden Seiten. Außerdem haben wir verbindende Wochenendkreise in unserer Aula, feiern zusammen Feste und treffen uns im Garten.“

Wie hat der Umzug den Kontakt der Schüler*innen untereinander verändert?

Thomas Brand: „Im gemeinsamen Alltag zwischen den Klassen gibt es viele schöne Begegnungen. Das schafft Vertrautheit. Insgesamt, kann man sagen, erhöht der partnerschaftliche Umgang die soziale Kompetenz. So entwickeln sich zum Beispiel zwischen einigen Schüler*innen der Partnerklassen Freundschaften und es kommt teilweise auch zu gegenseitigen Besuchen im Nachmittagsbereich bzw. Hort.  Auch die Eltern reagieren positiv auf das Projekt.“

Ulrike Müller: „Die Kolleg*innen beider Schulen bestätigen einstimmig, dass die informellen Begegnungen im gemeinsamen Schulgebäude den Umgang der Kinder und Jugendlichen untereinander positiv verändert haben. Es gibt keinerlei Berührungsängste mehr, es wird aufeinander Rücksicht genommen und die Verschiedenheit der Kinder ist für alle Normalität geworden. Das wird als gewinnbringend für die Schulgemeinschaft erlebt.  Man merkt, dass sich die Kinder untereinander wertschätzen, echte Interessen aneinandergewachsen sind und sich engere Kontakte entwickelt haben unter den Schüler*innen beider Schulen.“

Bringt das Aufeinandertreffen auch Probleme?

Thomas Brand: „Schön ist, dass alle beteiligten Klassen gemeinsame Unterrichtseinheiten haben und die kürzeren Wege zur jeweiligen Partnerklasse genießen. Für den inklusiven Unterricht entsteht jedoch ein höherer Arbeitsaufwand, es müssen gemeinsame Anknüpfungspunkte beider Lerngruppen ausgelotet werden. Für die Lehrkräfte ist es nicht immer einfach, gemeinsame inklusive Zeiten und gemeinsame Planungszeiten zu finden. Außerdem gibt es auch bei der großen Klassenstärke noch Nachbesserungsbedarf.“

Ulrike Müller: „Die Differenzen zwischen den Kindern sind natürlich nach wie vor groß. Unsere Schüler*innen kommen manchmal an ihre Grenzen. Wenn die Herausforderungen für sie zu groß werden, zum Beispiel durch zu viele Menschen im Raum, zu hohe Lautstärke oder zu viele Eindrücke, können wir von der räumlichen Konzeption profitieren, einzelnen Schüler*innen oder kleinen Gruppen einen Rückzugsraum geben.“

Welche Pläne gibt es für die Zukunft?

Ulrike Müller: „Wir möchten die inklusive Zusammenarbeit gerne intensivieren. Deshalb arbeiten wir weiter daran, allen beteiligten Gruppen insbesondere auch den Eltern beider Schülerschaften  zu zeigen, wie gewinnbringend unser Inklusionsprojekt für die Kinder ist.“  

Thomas Brand: „Wir wünschen uns ein weiteres Zusammenwachsen der beiden Schulen mit vielen schönen Projekten und Begegnungen in einem immer ideenreicher ausgestalteten Rahmen.“

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